Freitag, 3. April 2015

Die guten alten Zeiten

Neulich schaute sich Rabensohn auf unserem digitalen Fotorahmen (der quasi nie im Einsatz ist!, ist ja sicher auch schon wieder unmodern) Fotos von einem Urlaub in Italien 2011 an. Rabentochter war damals knapp ein Jahr, Rabensohn 4 1/2. Aus tiefster Brust entsprang Rabensohn plötzlich ein großer Seufzer: "Ach ja, die guten alten Zeiten!" Dieser eine Satz aus diesem noch so jungen Mund mutet komisch an. Und das in doppelter Hinsicht: Klingt er doch ein bisschen altklug aus dem Mund eines Siebenjährigen. Okay, fast acht. Zum anderen frage ich mich, was ein fast Achtjähriger denn an seiner Zeit auszusetzen hat, dass er sich jetzt schon nach den guten alten Zeiten sehnt? Und war früher wirklich alles besser? Für meinen Sohn ist früher gerade mal vier Jahre her, für mich 40. War denn damals alles besser? Das denke ich manchmal schon.

Waren die Kinder weniger anstrengend? Waren die Eltern weniger von Sorgen um das Wohl des Kindes geplagt? Waren die guten alten Zeiten besser? Sie waren anders. Das ist unstrittig. Wie war es, als ich Kind war? Ich denke schon, dass ich mich besser alleine beschäftigen konnte, als meine beiden Rabenkinder. Ich musste nicht den ganzen Tag bespasst werden und laaaaaangweilte mich auch nicht so wahnsinnig schnell. Aber ich mache meinen Kindern keinen Vorwurf, dass sie so sind, wie sie sind. Werden sie doch in Ganztageskitas und Ganztagsschulen den ganzen Tag beschäftigt. Sogar pädagogisch wertvoll. Aber immer auch einem Lärmpegel ausgesetzt, der einen irgendwann nur noch wie einen Duracellhasen durch die Gegend springen lässt, weil man nicht mehr abschalten kann. Und wir Erwachsenen tun noch das unsere dazu. Wörter wie gleich, schnell, mal kurz, eben noch… hören unsere Kinder doch ständig. "Ich muss noch eben meine Mails checken.", "Ich muss noch schnell telefonieren!", "Ich muss noch kurz dies oder das oder jenes!". Abschalten. Runterkommen. Fast unmöglich. Früher kam ich um 12 Uhr aus der Schule, dann gab es Mittagessen und während Mama die Küche aufräumte, machte ich Hausaufgaben oder spielte in meinem Zimmer. Danach ging es raus auf die Straße zum Spielen oder zu Nachbarskindern. Fernsehen gab es sowieso nicht. Gab ja nur drei Programme - und wer wollte schon Telekolleg anschauen? Und irgendwie verlief auch der Abend etwas ruhiger als heutzutage. Die Rabenkinder drehen oftmals abends noch so richtig auf und es wird getobt, was das Zeug hält. Woher nehmen sie nur diese Energie? Immer unter Strom. Sowie die meisten Geräte in unserem Haushalt. Immer Angst, etwas verpassen zu können. So wie die meisten meiner Freunde und Kollegen (ich nehme mich da nicht aus) - immer online. Bloß keine News verpassen.

Früher war es weniger anstrengend. Da bin ich sicher. Meine Eltern, wie sicherlich die meisten Eltern dieser Generation, haben sich weniger Gedanken darüber gemacht, was die beste Erziehung und Förderung ihrer Kinder ist. Kaum einer hat doch damals darüber nachgedacht, dass es schädlich für die Bindungsentwicklung ist, ein Baby schreien zu lassen. Unsere Großmütter waren sogar der Meinung, das Schreien kräftigt die Lungen. Heutzutage können wir jeden kleinsten Pups des Kindes googeln, und irgendein selbsternannter Sigmund Freud erzählt uns, was wir unseren Kindern durch dieses und jenes Verhalten antun. Auf unser Bauchgefühl verlassen wir uns doch schon lange nicht mehr. Es gibt doch Professor Doktor Google, der uns sagt, was wir alles falsch machen. Gut früher galt auch der Spruch: " Ein kleiner Klaps hat noch niemandem geschadet." Ich sag ja auch nicht, dass früher alles besser war. Aber ich denke, vieles war einfacher, weil man nicht so viel Informationen hatte wie heute. Und gerade diese Flut an Informationen, was ist gut für mein Kind, wie soll es schlafen, essen, spielen, wann soll es sprechen, laufen, schreiben, lesen… diese Flut überfordert uns. Wie sollen wir denn da noch wissen, was jetzt wirklich gut für unser Kind ist? Klar, früher gab es auch die Besserwisser-Muttis, die überm Gartenzaun hingen und die Nachbarskinder beäugt haben und sich dann bei Mama über einen beschwert haben. Aber heute wird bei Streitigkeiten nicht mal mehr der direkte Kontakt gesucht. Da wird über What's App, über den Schulleiter und im schlimmsten Fall sogar gleich über den Anwalt kommuniziert, dass mein Goldschätzchen ihrem Goldschätzchen das Schäufelchen weggenommen hat.

Meine Eltern haben bestimmt viel falsch gemacht. Ganz sicher. Denn es gab keine Kurse fürs Elternsein. Aber meine Eltern haben auch wahnsinnig viel richtig gemacht. Denn sonst wäre ich heute nicht der Mensch, der ich bin. Und ich mag mich eigentlich ziemlich gern. War früher also doch alles besser? In den guten alten Zeiten? Ja, auch ich sehne mich manchmal nach den guten alten Zeiten zurück. Aber ich lebe jetzt und ich habe jetzt Kinder, die es gilt zu selbstbewussten, glücklichen Menschen zu machen. Deswegen verbrenne ich jetzt alle Ratgeber, lösche Google als Startseite und storniere den Elternkurs. Ich höre auf mein Herz und vertraue auf meinen Instinkt. Und dann darf Rabensohn in 40 Jahren gerne sagen: "Ach ja, die guten alten Zeiten!"

Ich - in den guten alten Zeiten!

1 Kommentar:

  1. Super!

    Gerade gestern habe ich genauso gedacht! Es ist leider immer mehr und nimmt Überhand mit den "Ratgebern", ob es nun die Stillberater, die Hebamme, Dr. Google, verschiedene Kinderkurse (die es früher nicht gab) sind....kaum eine neue junge Mutter verlässt sich auf ihr Bauchgefühl :(

    Klar haben wir früher auch gefragt, die Mama, die Oma, die Tante....und uns das Beste daraus zusammengeschustert. Meine Kinder nehmen keinen Schaden daran, "altmodisch" erzogen zu werden, im Gegenteil, die heutige Generation mit den vielen Medien an der Seite + die altmodische Erziehung (wo der Papa gott sei Dank an einem Strang mit der Mama zieht) ist eine ganz gute Mischung denke ich. Sicherlich sind wir auch moderner geworden, da es auch viele "Hilfsmittel" gibt, wenn es denn mal langweilig ist und Mama nicht springen kann, aber das hält sich bei uns gott sei Dank noch im Rahmen.

    VG (und schöne Ostern!)
    Ivi

    AntwortenLöschen