Donnerstag, 17. Oktober 2013

Meine Nachbarin die Anneliese, sagt:

"Lassen Sie das Kind doch ruhig mal schreien, dann können sich die Lungen richtig ausbilden!" Meine Nachbarin die Anneliese tut ihre Meinung kund, ungefragt. Es wird Zeit mal etwas über sie zu schreiben! Als mein Sohn vier Monate alt war und ich bis dato keine Nacht mehr als drei Stunden durchgeschlafen habe, begegnete mir meine Nachbarin Anneliese im Hausflur. "Ach Kindchen, was sehen Sie schlecht aus. Sie schlafen wohl nicht genug? Ich höre Ihren Kleinen ja auch jede Nacht!" Ich geriet sofort in Entschuldigungsnot. Nicht genug, dass der kleine Rabensohn seine Rabeneltern seit ein paar Monaten jede Nacht auf Trab hält, jetzt stört er auch noch die Nachbarn. Ich ließ also Tiraden an Entschuldigungen los und meine Nachbarin die Anneliese fühlte sich sofort genötigt, mir gute Tipps zu geben.

Aber vielleicht sollte ich Anneliese erst mal vorstellen. Sie ist Mitte 60, leicht untersetzt, hat graubraune ondulierte Haare und ist modisch in den 80ern stehen geblieben. Seit 45 Jahren ist sie mit Hans-Werner verheiratet. Die beiden leben seit über 40 Jahren in ihrer Dreizimmerwohnung, die sich genau unter unserer befindet. Anneliese weiß alles über die Nachbarschaft: Wer mir wem und wer sich jetzt wieder getrennt hat, usw. Und mit ihren guten Ratschlägen hält sie auch nicht hinterm Berg. Allzu oft begegne ich Anneliese zum Glück nicht. Aber es kommt vor, dass wir uns im Hausflur über den Weg laufen oder zufällig vor der Haustür treffen. Sogleich verwickelt sie mich dann in ein Gespräch und hat immer einen guten Ratschlag für mich parat. Wie eben auch jetzt: "Ach wissen Sie, als das bei meinem Rudi so schlimm war und er jede Nacht gejammert hat, weil er zu uns ins Bett wollte, da hab ich ihm einfach erklärt, dass er alleine einschlafen muss und die Tür zugemacht. Und nach einer Weile war dann Ruhe!" Rudi, ja, bei dem hat das vielleicht funktioniert. Hierzu sollte jetzt allerdings auch gesagt werden, dass Rudi der leicht übergewichtige und schwer schielende Dackel meiner Nachbarin, der Anneliese ist. Also was bei Rudi funktioniert hat, soll jetzt auch bei meinem Rabensohn funktionieren? Ich versuche Anneliese zu erklären, dass man das nicht so einfach auf Kinder adaptieren kann. "Ach was. Ich hab immerhin drei groß gekriegt! Da muss man sich den Kindern gegenüber eben durchsetzten!" Nur so viel zur Erklärung: Anneliese hat keine eigenen Kinder. Früher, da war sie Haushälterin bei einem Anwaltsehepaar. Neben der Hausarbeit hat sie sich auch ab und zu um die drei Töchter der Familie gekümmert. Wenn das Au-Pair mal keine Zeit hatte. Aber Anneliese ist fest davon überzeugt, dass sie die einzig wahre Expertin in Sachen Kindererziehung ist.

Nun denn, bei Rudi klappt es mit der Erziehung jedenfalls nicht so gut. Wieso sollte es dann bei meinem Sohn klappen? Aber habe ich eigentlich um Rat gefragt? Nein. Macht ja nichts. Anneliese schwadroniert weiter: "Lassen Sie den Kleinen einfach mal schreien und laufen nicht jedes Mal hin, wenn er weint. Sie werden sehen, in drei Tagen schläft der durch und sie können endlich auch mal wieder schlafen." Ich werde hier jetzt auf keine Expertenmeinungen verlinken, denn auch da scheiden sich die Geister. Für mich war zu diesem Zeitpunkt wichtig, dass sich mein Kind nicht alleine und verlassen fühlt. Und natürlich bin ich jede Nacht aufgestanden und habe ihn getröstet. Manchmal eben auch siebenmal in der Nacht. Als er allerdings elf Monate alt war, da war auch ich an einem Punkt angekommen, wo ich nicht mehr konnte. Das Kind musste doch endlich mal eine Nacht durchschlafen. Also habe ich mich dazu entschieden, mich in individueller Weise am Buch: "Jedes Kind kann schlafen lernen" entlang zu hangeln. Ja, ich habe ihn schreien lassen und nicht aus dem Bett genommen. Aber nein, nicht strikt nach Plan, sondern so, wie ich es verantworten konnte. Ich war bei ihm und habe ihn nicht alleine gelassen. Und ja, es hat funktioniert. Nach drei Nächten schlief mein Rabensohn jede Nacht durch und ich konnte endlich auch mal wieder richtig schlafen und nicht nur unsere Nächte wurden besser, sondern auch unsere Tage. Und als ich meiner Nachbarin, der Anneliese mal wieder im Hausflur begegnet bin, da sagte sie zu mir: "Sehen Sie Kindchen, jetzt schläft er. Das hätten Sie auch schon vor einem Dreiviertel Jahr haben können!" Nein, denn da waren wir noch nicht so weit.

Meine Kinder sind jetzt drei und sechs Jahre alt und sie schlafen immer noch nicht jede Nacht durch. Vor allem die Kleine. Es gibt Nächte, da ist es besonders schlimm und sie wacht mehrmals auf. Dann gibt es auch wieder gute Nächte und wir schlummern alle ohne Unterbrechung bis zum Morgengrauen.  Aber natürlich stehe ich jedes Mal auf und tröste meine Kinder und wenn nötig, dann schlafen die Kinder eben bei mir im Bett. Jede Nacht geht das zwar nicht, da ich sonst irgendwann auf dem Zahnfleisch daher kommen würde, aber jede Nacht ist es ja auch gar nicht nötig. Denn meine Kinder wissen, dass ich da bin, wenn sie schlecht schlafen und nach mir rufen. Und deswegen schlafen sie meistens gut. Aber ich frage mich, was nur mit Rudi los ist, der heult seit ein paar Nächten bitterlich...

1 Kommentar:

  1. Die Anneliese ist ja wirklich der Hit! Jeder sollte so eine Anneliese haben... naja in irgendeiner Form hat sie wohl auch jeder, ich zumindest hab mindestens eineinhalb Annelieses in der Verwandtschaft. Auch hier: tut gut zu lesen, daß es auch bei anderen nicht perfekt und lehrbuchmäßig abgeht :)

    Liebe Grüße vom Vorstadtterror

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